Werde, was du bist!
Juli 2023
Mt 5,44-45: Liebet eure Feinde, betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im
Himmel werdet!
Die Bergpredigt ist die Regierungserklärung des von Gott eingesetzten Herrn und Königs Jesus Christus. Die für uns immer irgendwie befremdlichen Seligpreisungen zu Beginn spannen den Bogen zwischen der Welt, die dieser König vorfindet, und der Welt, die dieser König schaffen wird. Damit aber erst gar nicht der Eindruck entsteht, der König ließe seine Zuhörer mit der Frage „Was hat das mit mir zu tun?“ alleine, redet er nicht über abstrakte Zustände, sondern über konkretes Leben.
Bestimmte Zustände findet er in der Tat vor, greift sie auf und entgegnet ihnen, wofür Gottes Herz wirklich schlägt, was also seine Regierungspolitik bestimmen wird. Seine Regierung beginnt mit einem Geschenk: Gotteskindschaft. Dann schreitet er durch seinen Heiligen Geist zur Tat: Entfaltung der Gotteskindschaft. Erst dann fordert er von seinen Regierten die Konsequenz: Leben in der Gotteskindschaft. Für das alles braucht es die Kraft seiner Auferstehung. Daher ist eine Trennung oder gar eine Umkehrung dieser drei Punkte unmöglich.
„..., damit ihr Kinder des Vaters im Himmel werdet“ muss unbedingt in dieser Reihenfolge verstanden werden. Daher muss es bedeuten, zu werden, was wir schon längst sind. Das Sein kommt von Ostern her. Das Werden, das hier gefordert ist, setzt in unserem Leben das Geschehen von Pfingsten voraus. Die „neue Kreatur in Christus“ muss daran zu erkennen sein, dass sie völlig andere Lebensäußerungen hat als die alte – eben weil sie eine völlig andere Lebenskraft hat.
Die Heiligkeit Jesu Christi besteht u. a. darin, dass er bei den Forderungen seiner Regierungserklärung als Allererster zur Tat schreitet. Die Anordnung „Liebet eure Feinde!“ stellt die direkte Verbindung zwischen Röm 5 und Phil 2 her. Seine Liebe ist auf Golgatha zur Tat geworden, als wir seine Feinde waren. „Betet für die, die euch verfolgen!“ ist wohl nie beispielhafter geworden als in dem Wort Jesu am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“.
Es geht hierbei aber nicht um eine Vorbild-Christologie. Einem solchen Vorbild könnte ich mich als Sünder ja doch nie annähern. Es geht um den „Erweis des Geistes und der Kraft“. Den hat nämlich nicht Lessing erfunden, sondern Jesus. Ich bin nicht mehr aufgefordert, mittels eigener Hoheit mein Leben selbst zu optimieren – im Gegenteil! Diesem Geist der Eigendrehung, der in dieser Welt normal ist, setzt Jesus ein Ende. Ich bin aufgefordert, mich vollkommen meinem neuen König zu überlassen, der in seiner Macht schaffen wird, was ihm gefällt.
Die Älteren werden sich sicher noch an die vier geistlichen Gesetze erinnern. Da musste immer besonders der Unterschied zwischen dem dritten und dem vierten Bild beachtet werden. Das dritte Bild zeigte einen „christlichen“ Menschen; da war Jesus schon innerhalb des Lebenskreises. Das vierte Bild zeigte einen Christen; da saß Jesus auf dem Lebensthron. Hier bleibt die Unterscheidung von Wilhelm Busch gültig: „Christlich ist, was nicht Christ ist“.
Die ewige Theologen-Frage „Was fangen wir mit der Bergpredigt an?“ hat zwei mögliche Antworten: Entweder gar nichts, weil ich nichts vermag, oder ich akzeptiere sie vorbehaltlos als das Regierungsprogramm Jesu für mein Leben. Die Kraft für menschlich derart abstruse Forderungen wie Feindesliebe finde ich in keiner Ethik. Ich finde sie nur in der Herrschaft des Geistes Jesu Christi.
Jens Döhling