03.09.2023

Warten auf Gott

Jes 63,15: So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht?

Gal 5,5: Wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss.

In Jes 63 finden wir zwei Sprecher. Gott redet darüber, was sein Zorn mit den Völkern machen wird, die ihm nicht gehören, und führt noch einmal den Unterschied an, den sein eigenes Volk erleben soll. In einer Freiheit, die nur die Kindschaft gewährt, entgegnet dann Jesaja: Herr, wann erleben wir denn einmal diesen Unterschied? „Deine Barmherzigkeit hält sich hart gegen uns.“ Gerade die Propheten, denen die Wahrheit der Verheißungen Gottes, ebenso wie die Wirklichkeit der Lebensrealität des Volkes besonders bewusst war, mussten in ihrem Dienst lernen, Spannungen auszuhalten. Vielleicht hat Gott gerade deswegen ausgerechnet durch Jeremia, den Propheten des Leidens, seinem Volk ausrichten lassen: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe: Gedanken des Friedens, und nicht des Leides, daß ich euch gebe Zukunft und Hoffnung“ (Jer 29). Diese Selbstaussage Gottes sollte ja eben im Exil das Fundament der Hoffnung des Volkes sein.

Höchst bemerkenswert fällt hier auch Gottes Urteil über sein Volk aus: „Söhne, die nicht falsch sind.“ Dieses „Nicht-falsch-sein“ ist ja der Sinn von Gerechtigkeit. Wenn sie aber „nicht falsch sind“, was soll dann das Gericht? Vielleicht ist die Erklärung ähnlich wie später auf Golgatha: Gott will den Sünder unbedingt, aber nicht die Sünde. Deshalb muss er den Sünder von seiner Sünde trennen. Deshalb muss er die Sünde richten, um den Sünder zu retten. So verliert das Gericht den Aspekt der Strafe und gewinnt den Aspekt der Reinigung. Erst auf Golgatha tritt dann die Strafe wieder zum Gericht hinzu, als Gott „den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde macht“.

Achtung: Heilsgeschichte! Ist es im Alten Bund „Gnaden-Ignoranz“, durch die Gott wegschaut, so ist es im Neuen Bund „Gnaden-Substanz“, durch die Gott auf Jesus schaut. Jesus hat durch sein Opfer das Gottes-Urteil „Söhne, die nicht falsch sind“ erwirkt. Diese Gerechtigkeit ist also „Wirk-lichkeit“ für jeden, der durch den Glauben zu Jesus gehört.

Wenn manche, deren Leben eigentlich schon in diese „Wirk-lichkeit“ gehört, immer noch mit Jesaja sprechen müssen: „Deine Barmherzigkeit hält sich hart gegen uns“, bleibt ein seelsorgerliches Warten in einer gewissen Hoffnung. Das etwas zynische „Wo ist denn deine Macht?“ kann so zu einem kindlichen „Ich erwarte deine Macht“ werden.

Jens Döhling