Juni 2023
1Mo 27,28: Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle!
Der geklaute Segen. Ob man den so einfach als Zuspruch weitergeben kann, weiß ich gar nicht. Ich finde dieses Kapitel auch nicht leicht zu verstehen. Was genau ist der Charakter dieses väterlichen Segens, wenn er nur für einen Sohn reicht?
Dieser Segen muß mit dem damals gültigen Erbrecht zu tun haben; es geht um materiellen Ertrag und um Macht. In Teilen ist er dem Segen ähnlich, den Jakob am Ende seines Lebens seinen Söhnen erteilt. Allerdings hat er nicht nur für jeden Sohn einen Segen, sondern für Josef sogar einen doppelten, entsprechend dem damaligen Erstgeburtsrecht. Warum hat hier Isaak keinen Segen mehr übrig? Spielt hier schon das Selbstzeugnis Gottes eine Rolle: „Jakob habe ich geliebt, Esau habe ich gehaßt.“?
Bei Esau bedeutet dieses Hassen Gottes ja nur, daß er seine Heilsgeschichte nicht mit ihm schreibt, sondern mit Jakob. In Christus holt Gottes Heilsgeschichte aber dann auch die solchermaßen Gehaßten wieder ein. Aber was machen die, die Gottes Angesicht dauerhaft gegen sich stehen haben, weil sie z.B. von Gräuel-Sünden nicht lassen wollen?
Ein solcher materieller Segensbegriff ist ntl. Nicht aufrechtzuerhalten. Gleichwohl bedeutet es auch Versorgung, wenn Gott seine guten Machtworte in ein Leben hinein spricht, also segnet. Segen muß ganz allgemein bedeuten, daß ich einen Menschen in ein von Gott geführtes und gefülltes Leben hineinwünsche. Aus einem solchen Leben kann man sich aber immer nur selber ausschließen; es mangelt niemals an der Fülle Gottes. Warum gibt es dann bei Isaak so einen Discount-Segen, an dessen Ende für Esau sogar eher ein Fluch steht?
Wird hier schon prophetisch abgebildet, daß Gottes Heilsgeschichte immer in eine Entscheidung führt? Das ist wohl der Grundgedanke bei den Segens- bzw. Fluchhandlungen am Ebal und am Garizim. Dem setzt Gott ja ein sehr stark verbindendes Programm voran unter der Überschrift: „Ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein.“. Wer sich von Gott in dieses Programm heineinstellen läßt, begibt sich unter den Segen. Wer das verweigert, begibt sich unter den Fluch.
Ausgehend von Jakob und Esau eine Erwählungslehre auch noch für die heilsgeschichtliche Zeit nach Golgatha zu behaupten, ist nicht möglich. Aber daß eine Entscheidung zwischen Segen und Fluch in Bedeutung und Auswirkung sehr ernst ist, muß wohl doch deutlich bleiben.
Jens Döhling