22.10.2023
Beliebigkeit ist Schuld
3Mo 19,17: Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich lädst.
Gal 6,1: Liebe Brüder, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid!
Zunächst ist die Rede von einem Bruder. Es wird also hier nicht der Nächste im Allgemeinen in den Blick genommen, sondern ein Nächster, der auch zu Gottes Volk gehört, analog dann ein Mensch, der auch zur Gemeinde Jesu gehört.
Was wir heute für Toleranz halten, scheint Gott hier mit dem Begriff Hassen zu bezeichnen. Bei diesem Hassen geht es offenbar nicht darum, daß ich meinem Bruder mit einer Pistole hinterherlaufe; es geht darum, dass ich ihm mit der Wahrheit nicht hinterherlaufe. Wenn ich also denke: „Anders ist nicht falsch, sondern nur anders“, wenn ich daher nichts mehr in Beziehung zu dem heiligen Gott setze, wenn in meinen Augen also alle Wege die Christen irgendwie zum Ziel
führen, dann werde ich schuldig am Verderben meines Bruders. Klarheit und Wahrheit gehören eben nicht nur in evangelistische Gespräche, sondern gerade auch in den Umgang derer, die „aus der Wahrheit sind“.
Der Begriff Verfehlung unterscheidet sich von Sünde dadurch, dass dabei wohl keine Absicht, sondern eher sowas wie ein Versehen oder eine Unachtsamkeit vorliegt. Dafür spricht auch das Verb „ereilen“. Hier gehört die Anordnung des Paulus hin, geistliche Dinge geistlich zu beurteilen. Und lange bevor das zur Richtigkeit werden kann, muss es zur Seelsorge werden.
Angenommen, man will von Borkum aus nach Helgoland segeln, und irgendwo auf halber Strecke verrutschen einem die Koordinaten um 1° nach Backbord – wo kommt man dann hin, und wie kommt man wieder zurück? Merkt man das überhaupt, bevor es zu spät ist? In unserem Alltag sind wir dankbar, wenn jemand uns hilft zurechtzukommen, uns also zurechtweist. In unserem Christsein und Gemeindeleben, bei denen es um Wesentlicheres geht, würde uns eine solche
Dankbarkeit auch besser zu Gesicht stehen als die Haltung, die wir normalerweise an den Tag legen, die andere davon abhält, uns im Guten zu begegnen.
Das Schlimmste und Liebloseste, das wir unseren Kindern antun könnten, wäre es, sie nicht zu erziehen. Für ihr total verkorkstes Leben würden wir auch die Schuld tragen. Paulus sieht in der Zurechtweisung sogar einen Qualitätsnachweis: „…, die ihr geistlich seid“. Das heißt, wer den Geist Christi hat, dem kann es nicht egal sein, wenn Geschwister Wege gehen, die mit dem Geist des heiligen Gottes nicht zusammenpassen. Wer „etwa von einer Verfehlung ereilt wird“, trägt offenbar weniger Schuld als jemand, der solche Verfehlungen beliebig durchwinkt.
„Wer das Wasser in der Wüste kennt und es verschweigt, ist schuld, wenn Sterbende es übersehn. Wer im Moor die festen Wege kennt und sie nicht zeigt, ist schuld daran, wenn andre untergehn.“ (M.Siebald)